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ARCHIV 2006 - Februar 2014
Gerechtigkeit und Verantwortung in der Klima- und Energiepolitik
Seminar für Interessierte im Alter von von ca 20 bis 35 Jahren

Zur Vorgeschichte des Seminars: Vom 29. September bis zum 4. Oktober 2006 traf sich in Tübingen eine Gruppe von Studierenden und Promovierenden aus verschiedenen Fächern der Geistes-, Sozial-, Natur-, Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften beim Seminar „Macht und Rationalität: Die Zukunft der Energieversorgung“, das von Jan Christoph Goldschmidt und Felix Creutzig organisiert wurde. Aus der Dynamik dieses Seminars entwickelte sich ein Netzwerk, dessen Plattform die Internetseite www.new-ecology.de darstellt. Des Weiteren entsteht derzeit ein Buch, das die Beiträge und Erkenntnisse des Seminars festhält. Das diesjährige Seminar soll an das letzte insofern anknüpfen, als aufgeworfene Fragen weiter bearbeitet werden. Fragen, die dieses Seminar leiten sind: Wer muss, kann und will welchen Beitrag leisten? Welche Regelungen müssen gefunden werden, damit es gelingt den Klimawandel anzugehen und die Energieversorgung nachhaltig zu gestalten? Wie kann man Klima- und Energiepolitik sozial gerecht gestalten? Diese Aspekte sind grundlegend in der Klima- und Energiepolitik, allerdings liegt auch genau hier das Problem, da sehr unterschiedliche Vorstellungen dahinter stecken: Was ist eigentlich Gerechtigkeit und wer muss, kann und will Verantwortung übernehmen?! Der Gerechtigkeits- und Verantwortungsaspekt findet sich auf vielen verschiedenen Ebenen wieder: zwischen arm und reich, Gender und Generationen sowohl innerhalb von Gesellschaften wie auch global, z.B. zwischen Industrie-, Schwellen-, und Entwicklungsländern. Heute verbrauchen 25% der Weltbevölkerung 75% der weltweit verfügbaren Energie und die OECD Länder, die nur 18% der Weltbevölkerung repräsentieren sind für 52% der weltweiten Emissionen verantwortlich (IEA). Dabei treffen die Folgen des Klimawandels vor allem die jetzt schon ärmeren Regionen der Erde. Ganze Kulturen und Völker sind bedroht, so zum Beispiel die Inuiten in der Arktis oder Inselstaaten im Pazifik. Hier wird deutlich, dass die Verursacher und die Betroffenen des Problems an verschiedenen Stellen sitzen. Bei der Debatte um die internationale Klimapolitik geht es um die Fragen
  • wieviel Erwärmung die Erde verträgt,
  • welches Ziel sich die Weltgemeinschaft bei der Treibhausgasreduktion setzen muss
  • und vor allem wer welchen Beitrag leisten muss.
In den bisherigen Verhandlungen des Kioto-Protokolls wurde die historische Verantwortung der Industrieländer bei der Reduktionsverpflichtung bedacht, es häufen sich jedoch die Stimmen, die fordern aufstrebende Volkswirtschaften wie vor allem China und Indien, die ein Drittel der Weltbevölkerung stellen, aber nur 13% des globalen Energieverbrauchs ausmachen, ebenfalls mit einer Emissionsbegrenzung zu belegen. Des Weiteren sollen auf Dauer auch die Entwicklungsländer einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Diese argumentieren verständlicherweise mit ihrem Recht auf Entwicklung. Allerdings muss Entwicklung nicht unbedingt eine höhere Belastung der Umwelt bedeuten, wenn sie nachhaltig gestaltet wird. Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen müssen vom Wirtschaftswachstum entkoppelt werden. Gehen wir von dem Gerechtigkeitsverständnis aus, dass jeder Mensch das Recht auf die gleiche Menge Treibhausgasemissionen hat, dann dürften die Schwellen- und Entwicklungsländer, auch China und Indien, ihre Emissionen noch beachtlich erhöhen oder die Industriestaaten müssen ihre drastisch senken. Über Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit wird mittlerweile auch innerhalb von Deutschland in allen Parteien diskutiert, da Steuern und Abgaben insbesondere Menschen mit geringeren Einkommen härter treffen. Es werden Steuersenkungen erwogen, aber auch über pauschalisierte Rückzahlungen an die Menschen nachgedacht. Auf der einen Seite müssen alle Menschen Verantwortung übernehmen, auf der anderen Seite, muss der Staat gewährleisten, dass die Grundversorgung mit Energie gewährleistet ist. Die Frage, die sich hier stellt ist also, wie sich Ökologie und Soziale Gerechtigkeit verbinden lassen. Auch in der Energiepolitik spielen die Aspekte Gerechtigkeit und Verantwortung eine Rolle, z.B. wenn es um die Auswahl von Technologien und die Installation von Energiesystemen geht. Dabei spielt insbesondere auch der Not-in-my-backyard-Effekt eine Rolle. Leute, die nach Nuklearenergie als Lösung zur Bekämpfung des Klimawandels rufen oder die Windkraft ausweiten wollen, müssen sich mit Gegenstimmen aus der Bevölkerung auseinandersetzen, die sich durch die Installation belästigt oder bedroht fühlen. Ebenso stellt sich hier die Frage, welche Energiesysteme in Frage kommen. Strebt man eine dezentrale Energieversorgung an oder sind Modelle, die eine Vernetzung bis nach Marokko anstreben, um dort günstig produzierbaren Solarstrom zu nutzen zu bevorzugen? Es gibt in Deutschland bereits Gemeinden, die ihren Energieverbrauch zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energiequellen decken und damit energieautark sind. Wäre diese Möglichkeit auch für größere Städte machbar? Ein weiteres Problem ergibt sich bei den Biokraftstoffen, die zwar umweltfreundlicher sind, wenn man die Emissionen betrachtet, aber andere Probleme mit sich bringen. Ein Großteil des Bioethanolbedarfs wird heute schon in Brasilien hergestellt. Durch die erhöhte Nachfrage weichen andere landwirtschaftliche Produkte dem ertragreicheren Zuckerrohr (cash crop) oder in anderen Ländern auch anderen Energiepflanzen. Diese Nachfrage aus den Industrieländern schlägt sich negativ auf die heimische Bevölkerung nieder. Hier stellt sich die Frage, ob das nachhaltig und gerecht ist, da wieder nur einige wenige davon profitieren. Auch innerhalb der EU und Deutschland werden mittlerweile mehr Energiepflanzen angebaut, da diese profitabler sind als andere landwirtschaftliche Produkte. Die Landwirte haben die Energie als neue Einnahmequelle für sich entdeckt. Was für Konsequenzen hat das für die heimische Landwirtschaft? Überträgt man diese Fragestellungen von Gerechtigkeit und Verantwortung auf jeden einzelnen Menschen, geht es dabei auch konkret um die Grenzen des Wachstums, nachhaltige Lebensstile und Fragen der Effizienz und Suffizienz. Themen, die auf dem Seminar diskutiert werden können, erstrecken sich über ethisch und moralische Gesichtspunkte der Verschmutzungsrechte, des Verursacherprinzips und der Betroffenheit sowie technische und wirtschaftliche Möglichkeiten und Machbarkeit. Des Weiteren reflektieren wir über die Verantwortung der Entscheidungsträger und der Wirtschaft, aber auch jedes einzelnen Menschen. Das Seminar besteht aus der Besichtigung der Kommune Niederkaufungen, Referaten der Teilnehmenden, selbst organisierten Workshops und einem Simulationsspiel. Es können ca. 30 Interessierte teilnehmen.  Zielgruppe: Interessierte zwischen ca. 20 und 35, die sich mit dem Thema schon intensiver beschäftigt haben oder auch einfach großes Interesse, Motivation und Engagement mitbringen, etwas zu lernen und sich an den Diskussionen aktiv zu beteiligen. Kosten: 102 € für drei Tage Übernachtung und Vollpension. Eventuell wird sich der Beitrag reduzieren. Hinweis: Fahrtkosten werden nicht von den VeranstalterInnen übernommen. Zu den OrganisatorInnen (in alphabetischer Reihenfolge): Vanessa Aufenanger hat einen Magisterabschluss in Politikwissenschaft und Anglistik und promoviert derzeit an der Uni Magdeburg in Politikwissenschaft zur Klimapolitik der EU. Sie ist seit April 2006 in der Promotionsförderung der Heinrich-Böll-Stiftung. Nele Friedrichsen studierte Energie- und Umweltmanagement in Flensburg und promoviert seit September 2007 am Bremer Energie Institut im Bereich Vertikale Trennung der Energiekonzerne. Der Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der Investitionsanreize. Das Seminar findet in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung Hessen statt.

 

Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung