Diskussionsveranstaltung
100 Tage neue Regierung in Chile - zwischen Rhetorik und Wandel
Thema
Der Regierungswechsel in Chile im Januar 2006 scheint nicht wenigen Beobachtern als der Beginn einer neuen Ära. Zum ersten Mal hat die chilenische Bevölkerung mit Michelle Bachelet eine Frau zur Präsidentin gewählt. Sie verspricht eine neue Politik der Umverteilung und der sozialen Gerechtigkeit, mehr Geschlechtergleichheit und eine konsequentere Aufarbeitung der Pinochet-Ära. Dies wird von vielen Seiten als eine Neuorientierung für die chilenische Gesellschaft gesehen. Bachelets Programm gilt allgemein als Ausdruck eines politischen und gesellschaftlichen Wandels und einer "Linkswende". Dass sie mit der traditionellen Koalition aus Christdemokraten und Sozialistischer Partei - der so genannten Concertación- regiert, wirft allerdings auch Fragen auf. Schon ihr Vorgänger Ricardo Lagos, ebenfalls von der Sozialistischen Partei, war bekannt für seine äußerst wirtschaftsfreundliche Politik. In langjähriger neoliberaler Tradition hat das Bündnis Concertación seit der Demokratisierung Chiles im Jahre 1989 mit diesem Wirtschaftsmodell das Land zwar zu einer der erfolgreichsten Ökonomien Lateinamerikas gemacht, jedoch drängende Probleme der chilenischen Gesellschaft, wie die extreme soziale Ungleichheit oder ernsthafte ökologische Krisen, nicht gelöst.
Michelle Bachelet wird dem "pragmatischen" Lager der lateinamerikanischen Linken zugeordnet. Jetzt stellt sich die Frage, wie tief die zu erwartende Transformation der chilenischen Politik sein wird, und ob es ihr gelingt, die Erwartungen der Bevölkerungsmehrheit zu erfüllen. Vor die erste Feuerprobe wurde die Regierung schon wenige Monate nach ihrer Wahl gestellt: Chile erlebt ab April landesweite Schülerproteste - die "Revolución de los Pingüinos". Mehr als 100.000 Schüler demonstrierten für ein gerechteres und besseres Bildungssystem, für Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit. Bachelet kündigte nach diesen überwältigenden Protesten eine Schulreform an und versicherte ihr Bemühen um ein gerechteres Bildungssystem. Die Regierung setzte eine Expertenkommission ein, in der auch Schüler und Studierende vertreten sind, die innerhalb von drei Monaten einen Reformentwurf für das Bildungssystem ausarbeiten soll. Gleichzeitig kündigte sie aber auch an, nicht vom neoliberalen Kurs der Vorgängerregierung abzuweichen.
Ist diese wirtschaftliche Kontinuität für den versprochenen politischen Wandel eher förderlich oder hindernd? Ist mehr soziale Gerechtigkeit unter den bisherigen wirtschaftspolitischen Prämissen Chiles überhaupt zu verwirklichen? Diesen und anderen Fragen soll in dieser Veranstaltung, die innerhalb der Reihe "OneWorld Lectures" stattfindet, nachgegangen werden.
Referent
Jorge Rojas Hernández
Professor, Direktor des Instituts für Soziologie und Anthropologie an der Universität von Concepción, Chile
Termin
Donnerstag, 13. Juli 2006, 19.30 Uhr
Veranstaltungsort
Murhardsche Bibliothek, Eulensaal,
Brüder-Grimm-Platz 4a, 34117 Kassel
Veranstalter
Universität Kassel
Prof. Dr. Hans-Jürgen Burchardt
Fachgebiet Internationale und Intergesellschaftliche
Beziehungen - Fachbereich 5
Nora-Platiel-Str. 1, 34109 Kassel
In Kooperation mit: Heinrich-Böll-Stiftung Hessen e. V.
Weitere Informationen finden Sie unter: www.international.uni-kassel.de/de/oneworld.html
Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Videoaufzeichnung der Veranstaltung am 27. Februar 2014 in Frankfurt/M.
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Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung