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ARCHIV 2006 - Februar 2014
Diskussionsveranstaltung
Tibet - ein "integraler Bestandteil" der VR China?

Thema

Bis auf den heutigen Tag wird dem tibetischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung von der VR China vorenthalten. Tibet wurde 1949/1950 von der chinesischen Volksbefreiungsarmee erobert und in den folgenden Jahrzehnten gegen den heftigen Widerstand der tibetischen Bevölkerung als "integraler Bestandteil" in das kommunistische Großreich eingegliedert. Nach der Niederschlagung des Aufstands gegen die chinesische Besatzungsmacht im Frühjahr 1959 flohen über 100.000 Tibeter, unter ihnen der Dalai Lama, ins Exil, vor allem nach Indien. Dort existiert eine tibetische Exilregierung, die allerdings von keinem Staat auf der Erde anerkannt worden ist. Nach der Periode der mit Gewalt betriebenen Zwangassimilation nach dem Volksaufstand von 1959, die über eine Million Tote zur Folge hatte, wurde die Politik gegenüber Tibet - wie auch gegenüber anderen "nationalen Minderheiten" in China - gelockert und das System der "nationalen Gebietsautonomie" wieder eingeführt. Aber alle Rechte und Freiheiten, die die Tibeter heute genießen, befinden sich im von der Zentralregierung abgesteckten Rahmen. Die politische, administrative, kulturelle und vor allem militärische Macht liegt ausschließlich in der VR China. Politische Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in Tibet sind gang und gebe. Für die VR China gibt es kein Tibet-Problem, denn ihrer Auffassung nach besteht dieses lediglich in den "spalterischen" Aktivitäten des Dalai Lama, des von allen Tibetern bis heute anerkannten religiösen und weltlichen Oberhauptes. Die chinesische Regierung hat seit Mitte der 90er Jahre ohne großen Erfolg versucht, den religiösen Einfluss des Dalai Lama zurückzudrängen.

Die Tibet-Frage hat mehrere Aspekte, im Kern geht es um die Herrschaft über das Territorium, aber es geht auch um die Interpretation der Geschichte, sie weist religiöse und kulturelle Dimensionen auf. Und sie betrifft ein Gebiet, das schon heute durch die chinesische Wirtschaftspolitik ökologisch schwer beeinträchtigt worden ist. Zu befürchten ist, dass in dem "Spiel" globaler Macht- und Interessenspolitik - China stellt einen großen und dynamischen Wirtschaftsraum dar - Tibet und die Tibeter geopfert werden könnten. Die in den letzten Jahren gegenüber China praktizierte Politik des "Wandels durch Handel" scheint nicht nur nicht funktioniert zu haben, im Gegenteil: Sie scheint eher zu Anpassungen westlicher Firmen an das chinesische System geführt zu haben, wie beispielsweise die Kooperation der US-amerikanischen Internetfirma Yahoo mit den chinesischen Strafverfolgungsbehörden belegt.

Es stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten die deutsche bzw. die europäische Politik überhaupt haben, um in der Tibet-Frage im Sinne der (Wieder-)Herstellung des Selbstbestimmungsrechts der Tibeter einzuwirken? Und werden sich vor allem die jungen Tibeter in Tibet und im Exil langfristig gedulden oder eher radikalere Aktionen befürworten? Welche Möglichkeiten ergeben sich aus den Umstrukturierungen der chinesischen Gesellschaft, die zum Beispiel ein wachsendes Interesse an Religion unter der Bevölkerung hervorgerufen hat?
 
Referenten
Helmut Forster-Latsch, Sinologe, Übersetzer, Autor, Frankfurt a. M
Tsewang Norbu, Redaktionskoordinator "Tibet-Forum", Berlin

Moderation
Klemens Ludwig, Freier Journalist, Tübingen

Termin
Dienstag, 26. September 2006, 19.00 Uhr

Veranstaltungsort
Johann Wolfgang Goethe-Universität, Campus Bockenheim, Konferenzraum III - Neue Mensa
(Gebäude Sozialzentrum/ Mensa),
Bockenheimer Landstr. 133, 60325 Frankfurt am Main




 

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