Das chinesische Entwicklungsmodell - modern, vorbildlich, attraktiv?
Diskussionsveranstaltung mit Buchvorstellungen
Der „Herausforderung China“ (Wolfgang Hirn), die hierzulande in einer Mischung aus Angst und Bewunderung immer wieder beschworen wird, scheint – glaubt man den entsprechenden Propheten - eine Art Naturgewalt innezuwohnen, der zu entziehen sich niemand in der Lage befinde. Den global auftretenden Wirtschaftsgiganten vermag einzig sein Energiehunger, zumindest zeitweise, stoppen zu können. Ansonsten bleibe dem Westen nur übrig, sich gut mit diesem neuen global player zu stellen, zu kooperieren und zu investieren. Letzterem sei ja auch insofern gute Seiten abzugewinnen, da die Löhne dort sehr niedrig, Gewerkschaften und Betriebsräte entmachtet oder unbekannt und die Dienstwege sehr kurz, Projekte ohne „bürokratische“ Hemmnisse somit in sehr kurzer Zeit realisierbar seien. Das „kommunistische“ China steht somit im kapitalistischen Westen als Drohkulisse für die vermeintlich dringend notwendige Absenkung sozialer, ökonomischer, politischer und moralischer Standards. Diese Szenarien basieren häufig auf makroökonomischen Aggregaten bzw. Darstellungen der chinesischen KP, denen es naturgemäß an Realitäts- und Wahrheitsnähe mangelt. Während die Glitzerwelt der Großstädte ausgiebigst als Indikator chinesischer Leistungsfähigkeit vorgeführt wird, zu der „wir im Westen“ schon lange nicht mehr in der Lage seien, lassen sich Schilderungen über die Lebenswirklichkeiten der 900 Millionen Menschen umfassenden chinesischen Bauernschaft, die ein 150 Millionen starkes Heer von Wanderarbeitern umfasst, hier eher selten finden, ist diesen doch keinerlei positive Strahlkraft zu entlocken, die in westlichen Hochglanzmagazinen auszubreiten sich lohnte. Ganz anders sieht die chinesische Wirklichkeit aus, wenn man zwei neuere Publikationen aus chinesischer Feder zu Rate zieht. Die im Januar 2004 erschienene und zwei Monate später verbotene Reportage „Zur Lage der chinesischen Bauern“ des Autorenehepaares Chen Guidi und Wu Chuntao schildert – zum Teil spannend wie in einem Kriminalroman – die Rechtlosigkeit und die Willkür, denen die Landbevölkerung ausgesetzt ist, deren Leid und Verzweiflung und den für eine Diktatur gefährlichen Widerstand, der sich tagtäglich in zahlreichen Scharmützeln mit Polizei und Armee entlädt. Was das chinesische Entwicklungsmodell für hunderte von Millionen Menschen konkret bedeutet, wird hier sehr eindringlich erfahrbar gemacht. Die Autoren bleiben aber nicht bei der bloßen Beschreibung stehen, sondern ordnen die aktuelle Entwicklung in den historisch-politischen Kontext der modernen chinesischen Geschichte ein, wodurch die Dimensionen der Veränderungen deutlich hervortreten. Einen anderen Weg, auf die Probleme in China aufmerksam zu machen, wählte die Ökonomin He Qinglian in ihrem Buch „China in der Modernisierungsfalle“. Sie analysiert die Kernprobleme – Vermachtung, Korruption, Ungleichheit, Krise der Landwirtschaft, Wachstum der Schattenwirtschaft – und legt somit den Finger in die vielen Wunden des heutigen China, die hierzulande allzu häufig großzügig „übersehen“ werden, sieht man das Land doch im Aufstieg zu einer globalen Wirtschaftsgroßmacht begriffen, an dessen Wachstum es zu partizipieren gelte. Die Übersetzer der beiden Bücher stellen deren zentrale Botschaften vor und diskutieren die möglichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben können.
Referenten
Hans Peter Hoffmann Freier Autor und Übersetzer, Tübingen
Helmut Forster-Latsch Sinologe, Übersetzer, Autor, Frankfurt am Main Moderation Ralf Zwengel Heinrich-Böll-Stiftung Hessen e.V. Termin Mittwoch, 30. Mai 2007, 19 Uhr Veranstaltungsort Clubraum 1, Saalbau Bornheim, Arnsburger Straße 24, Frankfurt am Main Weiterführende Informationen im Internet:
Tilman Spengler, Der Markt gibt nichts auf Tränen - Die Zeit, 28.12.2006
Georg Blume, Mit dem Knüppel gegen die Bauern - Die Zeit, 09.03.2006
Katrin Willmann, Der Chemieunfall von Songhua und das Potenzial für soziale Proteste - China aktuell, Nr. 1/2006
Gesellschaft für bedrohte VölkerAlle Dokumente zu China
Thomas Lum, Social unrest in China CRS Report for Congress, 8. Mai 2006Deutsch-Chinesische Freundschaftsgesellschaft Frankfurt
Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Videoaufzeichnung der Veranstaltung am 27. Februar 2014 in Frankfurt/M.
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Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung