Ausstellung mit Begleitprogramm
Sireli Jeghpajrs (Lieber Bruder) Armenier in der Türkei vor 100 Jahren Postkarten des Sammlers Orlando Carlo Calumeno
Thema
Zu Anfang des 20. Jahrhunderts lebten im Gebiet der heutigen Türkei nahezu zwei Millionen Armenier mit eigener Sprache und Schrift, meist der armenisch-gregorianischen oder katholischen Kirche angehörend. Vertreibungen und Massaker mit schätzungsweise 1,2 bis 1,5 Millionen Opfern führten während des ersten Weltkrieges zur nahezu gänzlichen Zerstörung der armenischen Kultur. Als das multiethnische osmanische Reich durch die türkische Republik abgelöst wurde, wanderten von den verbliebenen Armeniern viele aus. Heute leben nur noch etwa 50.000 Armenier in der Türkei.
Der türkische Nationalstaat, durch den Reformer Kemal Atatürk 1923 als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches geschaffen, verstand die Türkei als Einheit von Sprache, Geschichte, Kultur und Territorium. Die Identität der Kurden, der Armenier und der Griechen sowie von Angehörigen anderer christlicher Religionsgemeinschaften wurden geleugnet und durch eine minderheitenfeindliche Politik unterdrückt. Die Existenz der Armenier und ihr Beitrag zur Kultur in der Türkei sollten in Vergessenheit geraten. Kirchen, Schulen und andere armenische Einrichtungen wurden zerstört, Ortsnamen geändert.
Heute ist das Interesse an der armenischen Geschichte wieder gewachsen, und auch die Politik in der Türkei beginnt sich zögernd mit dieser Phase der Geschichte des Landes ernsthaft zu beschäftigen.
Mit den Postkarten dieser Ausstellung wird erkennbar, dass vor dem ersten Weltkrieg multiethnisches, vielsprachiges, multireligiöses und multikulturelles Zusammenleben der Normalfall im Gebiet der Türkei war.
Anhand von Postkarten aus den Jahren 1900 bis 1910 wird das soziale, wirtschaftliche, kulturelle und auch private Leben der Armenier gezeigt.
Erstmals war die Präsentation im Januar 2005 in Istanbul zu sehen, wo sie innerhalb von nur elf Tagen mehr als 7.000 Besucher anzog.
Austellung
Sireli Jeghpajrs (Lieber Bruder)
Armenier in der Türkei vor 100 Jahren
Postkarten des Sammlers Orlando Carlo Calumeno
Eine Ausstellung von Osman Köker und dem Verlag Birzamanlar Yayincilik
in Zusammenarbeit mit der Initiativgruppe "Sireli Jeghpajrs"
realisiert mit Unterstützung der Heinrich-Böll-Stiftung
Termine
Ausstellung vom 25. Mai bis 30. Juli 2006
Eröffnung am Mittwoch, 24. Mai, 18 Uhr
Öffentliche Führungen
Sonntag, 11. Juni, 14 Uhr
100 Jahre Armenier in der Türkei
Dr. Jörg Füllgrabe
Sonntag, 25. Juni, 14 Uhr
100 Jahre Armenier in der Türkei
Deborah Krieg
Mittwoch, 28. Juni, 18 Uhr
Vertreibung und Exil im 20. Jahrhundert
Deborah Krieg
Begleitprogramm zur Ausstellung Sonntag, 28.Mai, 12 Uhr Über die Entstehung der Ausstellung "Lieber Bruder"
und die Postkarten-Sammlung Calumeno
Dia-Vortrag mit dem Austellungsmacher Osman Köker
Osman Köker (geb. 1957 in Maras ) ist seit 1977 für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften tätig, darunter für "Baris ", " Özgür Gündem" " Agos" ," 2000 `e dogru " und " Söz". Inhaltlicher Schwerpunkt seiner journalistischen Tätigkeit sind aktuelle Fragen im Zusammenhang mit nicht-muslimischen Minderheiten - insbesondere mit Armeniern in der Türkei.
Sonntag, 11.Juni, 16 Uhr
Musikalische Matinee - Armenische Musiktradition
Ilda Simonian, Mezzosopran
Liesbeth Spits, Klavier/Flügel
Ilda Simonians Gesang wurzelt in der jahrhundertealten, charakteristischen armenischen Musiktradition, die vom mittelalterlichen liturgischen Gesang und der traditionellen Volksmusik Ostanatoliens und des Kaukasus bis zur armenischen klassischen Musik reicht. "Meine Eltern konnten in der Türkei kein Armenisch sprechen." Das war eine Folge der Vertreibungen, bei denen etwa anderthalb Millionen Armenier ums Leben kamen, und der jahrzehntelangen Unterdrückung, die das armenische Volk danach erfuhr. "Wegen dieser Unterdrückung ist viel von unserem kulturellen Erbe verloren gegangen." Deshalb ist es ihre Mission, ihr Publikum am Reichtum und an der Kraft der armenischen Musik teilhaben zu lassen.
Mittwoch, 21. Juni, 19 Uhr
Armenien und Deutschland
Ein Versuch, Zerrissenes wieder zusammenzuknüpfen
Vortrag von Prof. Dr. Hermann Goltz, Dr. Johannes Lepsius-Archiv Halle/Potsdam
Wer weiß noch, dass das armenische Alphabet im 15. Jahrhundert in Mainz gedruckt wurde? Wer erinnert sich daran, dass Thomas Mann den Aufruf zur Gründung der Deutsch-Armenischen Gesellschaft unterstützte? Durch die traurige Rolle Deutschlands im Völkermord an den Armeniern ist auch die deutsche Kultur im Innersten beschädigt worden. Das Werk des Helefers und Anwalts der Armenier, Johannes Lepsius, ist der Ansatzpunkt für den Versuch einer Wideranknüpfung.
Sonntag, 25.Juni, 12 Uhr
Die armenische Diaspora
Vortrag von Prof Dr. Mihran Dabag, Direktor des Instituts für Diaspora und Genozidforschung Ruhr-Universität Bochum
In der Geschichte war die Vertreibung ein prägendes Element der politischen, sozioökonomischen und kulturellen Identität der Armenier. "Mit dem Völkermord von 1915 wurde die armenische Diaspora zum wesentlichen Strukturprinzip der armenischen Identität. Die global verstreuten armenischen Diaspora-Gemeinden weisen spezifische Entwicklungen auf, die über gemeinsame - erfahrende und erzählte - Schicksale verbunden sind." Die Bedingungen und die Perspektiven der Lebenspraxis der in Deutschland ansässigen Armenier wird der Vortrag von Mihran Dabag ausloten.
Sonntag, 2. Juli, 12 Uhr
Eine Reise in die verlorene Welt der Armenier
Dia-Vortrag von Alfrant Bedros
Unlängst sind die Ruinen der alten armenischen Hauptstadt Ani von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden. Dennoch sind die Spuren des armenischen Lebens in Anatolien vom Verfall und Zerstörung bedroht. Der Zustand der Sakralbauten, Befestigungsanlagen und anderer Gebäude in den armenischen Siedlungsgebieten vor 1915 und heute wird anhand von Dia-Aufnahmen und anderer fotografischer Materialien verglichen.
Mittwoch, 12.Juli, 18 Uhr
Die armenische Bevölkerung nach 1915 in der Türkei
Vortrag von Dr. Raffi Kantian , Publizist
Die Katastrophe des Völkermordes hat die armenische Bevölkerung bis auf die Substanz dezimiert. Wie fanden sich die überlebenden Armenier nach der Republikgründung zurecht? Die Türkei führte in den 1930er Jahren das Enteignungsgesetz für die Stiftungen und in den 1940er Jahren die Sondersteuer für ethnischen Minderheiten ein. In den 1950er Jahren vertrieben Pogrome den Großteil der Christen aus Istanbul. Im Zug der Arbeitsemigration und des politischen Asyls waren zwischen den 1960er und 1980er Jahren starke Auswanderungen vor allem nach Westeuropa und den USA. Offiziell leben noch 50.000 Armenier in der Türkei. Welche Lebensperspektiven haben sie in der heutigen Türkei?
Veranstaltungsort
Historisches Museum
Saalgasse 19, 60311 Frankfurt am Main
Tel. (069) 212-35599
Fax. (069) 212-30702
Öffnungszeiten: Di, Do-So 10-17 Uhr, Mi 10-20 Uhr
Eintritt: 4,-/2,- EURO
info@historisches-museum.frankfurt.de
Recht auf informationelle Selbstbestimmung?
Videoaufzeichnung der Veranstaltung am 27. Februar 2014 in Frankfurt/M.
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Studienwerk der Heinrich-Böll-Stiftung